Die Musik drang tanzend in mein Ohr
… dann strömte sie wohltuend durch meinen Körper und tanzte in ihm…
Im herbstlichen September 2017, als ich mich gerade von daheim auf den Weg ins AKH zu meiner zweiten Implantation aufmachen wollte, fiel mein Hörgerät überraschend zu Boden, indem es vom Hörwinkel plötzlich abbrach. Es war wie ein Abschied von meinem alten Leben mit Hörgerät und es war der Beginn meines neuen Lebens mit beidseitigem CI.
Elizabeth Rotter
Bis direkt vor der Operation trug ich mein erstes CI und auf dem Weg zum Operationssaal las mir eine Mitarbeiterin rasch meine Kontaktdaten als Sicherheitskontrolle vor. Dabei half mir das CI besser folgen zu können.
Einmal fragte mich eine Freundin, ob ich während der Operation die Ärzte habe sprechen hören oder etwas vom operativen Eingriff. Schmunzelnd musste ich verneinen. Wie nach einem Lidschlag war die Operation durch die Narkose vorbei. Ich war gut aufgewacht, mit einem Verband über dem Sprachprozessor am Kopf.
Ein neues Lebensgefühl
Mit beiden „neuen” Ohren hören zu können, bedeutet mir sehr viel. Es gibt viele neue Emotionen zu erleben, zum Beispiel ein neues Lebensgefühl, wie auch viele Überraschungen, die durch die neue Hörentdeckung auf meiner Hörreise entstehen. Sie wurden und werden meistens als schön erlebt und manchmal auch als unangenehm, wie starker Lärm. Ab und zu lösen die Emotionen ein Gefühl der Unsicherheit aus, da man sich noch nicht mit den neuen Hörsituationen vertraut fühlt. So erlebt man quasi eine neue Gefühlswelt, die durch die CIs entsteht. Alles völlig neu – und dabei stelle ich mir oft die Frage, wie ich damit umgehen soll.
Auf das Hören einlassen
Ich war darauf trainiert aufgewachsen, mich beim Sprechen gänzlich an der mechanischen Mundbewegung zu orientieren. Ich war auch stark visuell geprägt, da mein Leben davon abhing – jedenfalls in der interpersonellen Kommunikation. Mit der Umstellung auf meine beiden CIs begann ich zu lernen, mich in Gesprächen auf das Hören mit ihnen einzulassen, also mich beim Selber sprechen zu hören und mit der zusätzlichen Hilfe des Mundablesens beim Zuhören.
In der Audiopädagogik, in der ich meine beiden Sprachprozessoren trug, las meine Therapeutin zuerst fünf Sätze vor, wobei ich ohne Mundablesen zuhörte. Dann wiederholte sie einen davon und ich musste erraten, welchen. Meistens erkannte ich den Satz richtig. Außerdem übte eines meiner Kinder mit mir. Vor mir lagen vier Gegenstände, zu denen mein Kind mir einen Satz sagte, den ich – ohne Mundablesen, also nur hörend – meistens richtig zuordnen konnte.
Doppelt besser hören
Ich übte Worte, Sätze und auch Lieder mit Musikuntermalung. Meine Erfahrung bestätigte mir, dass das Hörtraining und das Erlernen von neuen Geräuschen mit den beidseitig gesetzten CIs um vieles leichter war. Also mit den beiden CIs kann ich nicht nur doppelt besser hören, sondern es bringt mir auch ein Gefühl von Genuss, was ein großer Vorteil für mich als Gehörlose von Geburt an ist.
Als ich anfangs mit den CIs unterwegs war, wurde mir erst bewusst, dass jemand, der vielleicht hinter mir steht, mir beim Sprechen zuhören könnte. Das hatte ich vor der Implantation nicht wirklich „gefühlt”, denn erst durch die CIs kann ich besser und verständlicher sprechen. Vor meiner ersten Implantation hatte ich als Gehörlose das Gefühl, dass nur, wer in meinem Sichtfeld stand, mithören konnte. Aber jetzt ist das anders! Eines Abends sah und hörte ich in einem vollen Warteraum eines Krankenhauses eine Krankenpflegerin laut sprechen. Da dachte ich, wie mutig sie war, sich vor allen Leuten hinzustellen und so laut zu sprechen!
Metaphorisch gesagt, stand ich am Strand meiner Gehörlosenwelt und das weite und breite Meer war die hörende Gesellschaft, deren neues Mitglied ich geworden war. In dieser Gesellschaft bewege ich mich jetzt wie eine Normalhörende, denn ich höre, was sie hören. Das ist eine neue emotionale Erfahrung für mich.
Ein Schritt nach dem anderen
Eine gehörlose Frau, die sich überlegte, CI implantieren zu lassen, fragte mich, ob es mit den CIs möglich wäre, nicht nur verschiedene Geräusche zu erkennen, sondern auch ein Sprachverständnis zu erwerben. Ich erklärte dieser Frau, was mir als CI-Kandidatin von meiner Audiopädagogin erklärt wurde. Natürlich würde man gerne zum besten Teil vorspringen, nämlich dem Sprachverständnis, aber das schaut in der Realität leider anders aus. Zuerst muss man mit der Kulisse der alltäglichen Geräusche beginnen, sie zuordnen und schrittweise immer weiter verfeinern bis hin zu einer Verfeinerung, in der das Gesprochene verstanden wird. Dazu ist viel Geduld nötig. Die Sprache hören wird daher parallel von Anfang an auditiv geübt.
Um mich selbst schneller voranzubringen, mache ich spielerische Hörexperimente. Dazu mache ich die Augen zu, um etwas aus meiner Umgebung zu hören und zu erraten, was gerade um mich los ist, quasi wie ein Film, der vor mir abläuft. Aus einer Richtung höre ich jemanden eine Frucht in der Küche schneiden, es klingelt an der Tür, während ein Handy aus der anderen Richtung piepst. Von rundherum kommen verschiedene Informationen und so fühle ich mich darüber informiert, was rundherum um mich passiert.
Erlebnisse, die Stolz und Sicherheit spüren lassen
Noch etwas gibt es, was ich früher mit beiden Hörgeräten nie erlebt hatte. Meine Kinder, die mich zum Scherz heftig erschrecken wollten, indem sie plötzlich aus dem Nichts herausspringen, schaffen es nun, wenn ich meine CIs anhabe, mich richtig zu erschrecken. Mit den beiden Hörgeräten hörte ich zwar, erschrak mich aber nicht.
Einmal fuhr ich mit meinem Auto und hörte dabei genüsslich Musik, wobei unterschiedliche Melodien, einmal hoch und einmal tief, tanzend aus dem Autoradio im Cockpit kamen. Da schoss mir plötzlich das Heulen des Folgetonhorns in die Ohren, und dabei war es noch gar nicht in meinem Sichtfeld! Das war nur wegen der CIs möglich. Da erlebte ich ein Gefühl von Stolz und Sicherheit.
Lieblingsklänge
Was ich am liebsten höre, ist die menschliche Stimme, klassische Musik, fröhliche Popmusik und Vogelzwitschern. Es interessiert mich, wie im eigenen Garten, einem Park oder Wald jeder einzelne Vogel, wie eine Blaumeise, Amsel etc. klingt. Auch verfolge ich, wie einige oder mehrere Personen sprechen und versuche zu hören, ob nur eine Person spricht oder sich mehrere gleichzeitig miteinander unterhalten.
Vor nicht allzu langer Zeit war ich mit meiner Familie bei einem Fußballturnier meines Sohnes. Da hörte ich wiederholt Zurufe der Zuschauer und erkannte beim freien Zuhören die Worte “Schnell! Schnell!” Als ich meine Tochter fragte, ob ich richtig hörte, bejahte sie es, was ein kleines Erfolgserlebnis für mich war.
Einmal hörte ich in der Bim die Durchsage „Albertgasse“ heraus und wusste aufgrund des Kontextes, wo ich mich befand.
Eines Tages ging ich die Straße entlang, auf der aus beiden Richtungen Autos vorbei brummten. Dabei streifte mich Popmusik, die aus einer geöffneten Geschäftstür strömte, und sie drang tanzend in mein Ohr ein. Da strömte die Musik wohltuend durch meinen Körper und tanzte in ihm.
Das ist bei weitem noch nicht alles. Es kommt ständig Neues von rundherum auf mich zu und manches bleibt mir heute noch verhüllt.