„Musik statt Yoga“: Musikerleben nach langer Taubheit
Für Hans Horak, vereinsgründenden Obmann des CIA, geht die Bedeutung von Musik weit über ihren Unterhaltungswert hinaus.
Eva Kohl, Clinical Engineer, MED-EL Wien
Es war ein schwerer Schicksalsschlag für Hans Horak, als er vor 50 Jahren in Folge eines Unfalls sein Hörvermögen verlor. An den Gesprächen seiner Familie oder Freunde konnte er nicht mehr teilhaben. Mit der Ertaubung ging dem Hobby-Gitarristen auch die Musik abhanden, die bis dahin fester Bestandteil der Freizeit war.
„Musik hat unsere Gruppe verbunden.“
Der Schüler Hansi hatte bei seinen Ausflügen mit der katholischen Jugend alles mitgesungen, was an Volksweisen damals üblich war: von Es klappert die Mühle über den Lieben Augustin bis zum Zigeunerkönig – tagsüber beim Wandern, oder mit Gitarrenbegleitung beim abendlichen Lagerfeuer. „Auch wenn du dich sonst mit jemandem nicht so gut verstanden hast – wenn wir gesungen haben, sind wir alle näher zusammengerückt.“
Als Kontrastprogramm standen damals die Beatles, Bee Gees und Elvis Presley hoch im Kurs – sie tönten aus den tragbaren Transistorradios, einer Errungenschaft der Fünfzigerjahre, wenig größer als heutige iPods.
Musik aus dem Radio war auch gefragt, wenn Probleme drückten – Musik beruhigte, half die Gedanken zu sammeln und Konzentration zu finden. „Sogar drohende Schularbeiten haben mit Musik ihre Gefährlichkeit verloren“, schmunzelt Horak. In so mancher Situation, in der er das Gefühl gehabt habe, vor einer schier unüberwindlichen Wand zu stehen, verschaffte ihm die Musik den nötigen Abstand, um einen Ausweg zu finden: „Silence is Golden war eines meiner Lieblingslieder. Es hat mir damals oft geholfen.“
Silence is Golden – nicht immer
Auch wenn sein damaliger Lieblingssong das Schweigen als Gold beschreibt, hatte Stille für Hans Horak bald eine unliebsame Bedeutung. 1969 gingen mit seiner Ertaubung neben der audio-verbalen Kommunikation auch gewohnte Alltagsklänge verloren. „Vor das Haus zu gehen und mitten in der Schallquelle zu stehen“, das war vorbei. Undurchdringliche Stille begleitete ihn fortan auf Schritt und Tritt. „Als ich taub war, habe ich erst begriffen, was mir fehlt!“
Gerade mit den belastenden Problemen der Ertaubung konfrontiert, musste der damals gerade 18-Jährige auch auf Musik als emotionale Unterstützung verzichten. Wenn er es schaffte, dem Gespräch seiner Freunde über Lippenlesen zu folgen, konnte er doch nicht mitreden. „Das Hauptgesprächsthema war bei den Jugendlichen die Musik: The Kings oder die Bambies, die haben einen neuen Song – hast du den schon gehört?“ Hatte er nicht, als Ertaubter.
„Ich habe zuhause oft die Hände an den Lautsprecher der Stereoanlage gelegt und die Lautstärke ganz aufgedreht, um zumindest den Rhythmus zu spüren.“
Die Kraft der Erinnerung
„Mein einziger Lichtblick war, dass ich gut sehen konnte.“ Auf dem Berg, ins Tal schauen und plötzlich den Kaiserjodler im Kopf haben: Die visuellen Eindrücke gemeinsam mit seiner Erinnerungen an die Musik hat dem ertaubten Musikliebhaber manchmal die Vorstellung einer Musikwahrnehmung geschenkt. Diese auditive Vorstellung hatte Heilkraft. „Ich habe damals sogar meinen Tinnitus vertont, damit er für mich erträglicher wurde“, schmunzelt er.
Es dauerte ein Vierteljahrhundert, bis Hans Horak ein Cochlea-Implantat erhielt, damals ein analoges CI. Damit konnte er wieder hören und an Gesprächen teilnehmen, doch der Klang seiner Gitarre ließ zu wünschen übrig. „Ein kurzer Ton, das war´s.“ Kein Ausklingen, kein Klangspektrum „Mir hat die Resonanz gefehlt.“
Regelmäßig war er zum Hörtraining im Tiroler Mils, oft gemeinsam mit seinem CI-Kollegen Karl-Heinz Fuchs. Auf der gemeinsamen Rückfahrt nach Wien schob der dann ein erstes Mal eine Musikkassette ins Autoradio, lacht Horak: „Einen Sch… haben wir damals gehört, aber es war so schön!“
Der Musikliebhaber gab nicht auf. Immer wieder lauschte er altvertrauten Melodien, deren Klang sich in der Jugend in seinem akustischen Gedächtnis eingeprägt hatte. „Mit der Zeit hatte ich das Gefühl, als würde ich das, was meine akustische Erinnerung war, tatsächlich jetzt hören.“ Der Klang größerer Gruppen oder Orchester blieb aber dünn.
Digitale Klangtreue
Zweieinhalb Jahre später stieg der Wiener vom analogen Implantat auf das digitale Combi 40 um. Während er mit dem analogen CI klanglich kaum zwischen Frauen- und Männerstimmen hatte unterscheiden können, hörte er schon beim Aktivieren des digitalen CIs an der Stimme der Logopädin Maria Lautischer: „Die war genauso aufgeregt wie ich!“
„Auch Musik habe ich dann wieder so gehört wie früher, nicht mehr nur in meiner Vorstellung. Mein erstes Weihnachtsfest mit dem Combi 40, wieder Stille Nacht richtig hören und mitsingen…“, kurz schluckt der CIA-Obmann und seine Augen beginnen zu glänzen.
Tausend Prozent mehr Musik
Als frisch gebackener C40-Nutzer genoss Hans Horak wieder Musik zu hören: von der rauchigen Westernstimme, mit der Gus Backus dem Alten Häuptling der Indianer seine Hommage darbrachte, bis zum hohen Jodeln, mit dem Peter Hinnen sein Auf meiner Ranch bin ich König einleitete. Ganze Berge an CDs kaufte er damals: „Ich war richtig süchtig.“
Die Oldies hört der CIA-Obmann immer noch gerne, aber seit einiger Zeit erschließt er auch andere Musikrichtungen für sich. Radio Klassik biete da einiges, aber auch die Musical-Szene oder so mancher Straßenmusiker.
„Ich gehe auch manchmal in eine Kirche, um die Orgelmusik zu hören“, gesteht Horak. „In diese Musikstücke kannst du all deine Gefühle einbinden. Danach bin ich wieder ganz ruhig.“ Auch wenn er Kummer hat, hilft er sich heute wieder mit entspannender Musik: „Andere machen Yoga, ich höre Musik!“